Harnabflussstörungen
 
W. Klee


Harnabflussstörungen kommen bei männlichen Hauswiederkäuern wesentlich häufiger vor als bei weiblichen, bei kastrierten männlichen häufiger als bei intakten.
Die parasympathische Innervation der Harnblase, welche die Miktion steuert, erfolgt durch Nerven, die im Bereich des Kreuzbeins den Rückenmarkskanal verlassen.

Übersicht

Störungen der Blasenentleerung
nerval (Myelitis, Trauma oder raumfordernder Prozess im Bereich des Rückenmarks oder der Cauda equina)
mechanisch (ein Urachusempyem ["Urachusabszess"] kann so große Ausmaße erreichen, dass es allein durch sein Gewicht die Kontraktion der Blase behindert)

Störungen im Bereich der Harnröhre
Kompression (von außen)
Penishämatom
Phlegmone
Weichteilschwellung (bei weiblichen Rindern nach Geburtsverletzungen)

Obstruktion (von innen)
Steine (bei Urolithiasis)
Entzündungsprodukte (bei/nach Omphalourachitis)
 
 
 

Harnröhrenobstruktion (HRO)
 
 
 W. Klee
 
Das Wichtigste in Kürze

Obstruktion der Harnröhre durch Konkremente oder Entzündungsprodukte. Urolithiasis tritt vor allem bei Mastrindern oder -lämmern auf. Es tragen verschiedene Faktoren dazu bei. HRO durch Entzündungsprodukte betrifft meist ältere männlich Kälber und kann als Komplikation einer chronisch eitrigen Harnwegsinfektion auftreten, meist auf Basis einer Omphalourachitis. Klinisch zeigt sich geringgradige Kolik, Zähneknirschen, Abhalten des Schwanzes. Die Präputialhaare sind meist trocken und mit Harngrieß behaftet. Bei längerem Bestehen zusätzlich Symptome der möglichen Komplikationen Blasen- oder Urethraruptur. Bei sterilem Harn entwickelt sich Uroperitoneum bzw. Harnödem, bei infiziertem Harn generalisierte Peritonitis bzw. Harnphlegmone, letztere beide mit schlechter Prognose. Daher ist die Unterscheidung von entscheidender Bedeutung für das weitere Vorgehen. Diagnose anhand der klinischen Erscheinungen. Therapie (bei Rindern): Urethrotomie mit Anlegen einer permanenten Harnfistel (s. Skript Chirurgie).


 

Prüfungsstoff
 
 
Ätiologie Diagnose
Epidemiologie Differentialdiagnose
Pathogenese Therapie
Klinische Erscheinungen

 

Ätiologie:
Siehe Übersicht.
 

Epidemiologie:
HRO darf nicht mit Urolithiasis gleichgesetzt werden, und umgekehrt. Urolithiasis tritt vor allem bei Mastrindern oder Mastlämmern auf, aber auch bei jungen Schafböcken zur Zucht, die intensiv gefüttert werden. Besonders gefährdet für den Verschluss der Harnröhre sind Mastochsen, weil bei ihnen der Durchmesser der Harnröhre verringert ist.
Die andere Form von HRO (durch Entzündungsprodukte, also Fibrin und/oder Eiter) betrifft meist ältere männliche Kälber.
 

Pathogenese:
Urolithiasis: verschiedene Faktoren tragen bei, so z.B. Oxalat-, Silikat- oder Östrogengehalt der Ration. Steine bilden sich um einen Kern (Nidus), z.B. aus Zelldetritus (vermehrt bei Vitamin-A-Mangel und Östrogenzufuhr).
Harn enthält manche Stoffe in übersättigter Lösung und ist eine instabile Lösung. Daher kristallisieren Stoffe aus, insbesondere bei Verlangsamung des Harnflusses (unzureichende Wasserzufuhr oder -aufnahme, z.B. wegen Kälte). Der pH-Wert spielt ebenfalls eine Rolle. In alkalischem Harn fallen eher Karbonat und Phosphat aus. Mukopolysaccharide fungieren als "Zement" und backen die ausgefallenen Sedimente zusammen. Der Gehalt des Harns an Mukopolysacchariden ist bei kraftfutterreichen Rationen erhöht. Außerdem sinkt unter diesen Umständen die Speichelproduktion, und es wird mehr Phosphor über den Harn und weniger über die Fäzes ausgeschieden.
Urolithiasis kommt unter entsprechenden Umständen auch bei weiblichen Tieren vor, führt dort aber aus anatomischen Gründen selten zu Komplikationen.

HRO durch Entzündungsprodukte: Komplikation einer chronischen eitrigen aufsteigenden Harnwegsinfektion, meist auf der Basis einer Omphalourachitis.
 

Klinische Erscheinungen:
Geringgradige Kolik (die oft übersehen wird), Zähneknirschen, Abhalten des Schwanzes. Tiere mit HRO auf der Basis von Urolithiasis sind meist gut genährt, mit glattem Haarkleid, solche mit HRO durch Eiterpfropf sind nicht gut entwickelt. Oft gibt der Besitzer an, dass das Kalb noch nie so ganz gesund war.
Die Präputialhaare sind trocken, mitunter haftet ihnen Harngrieß an. Auch auf Stimulation (zur Technik siehe Propädeutik-Skript) wird kein Harn abgesetzt. (Bei Schafböcken oder Hammeln kann der Harnabsatz durch Anbringen eines Tuches unter dem Präputium überprüft werden.)
Bei längerem Bestehen der Erkrankung treten die Symptome einer der beiden möglichen Komplikationen Blasenruptur oder Urethraruptur in den Vordergrund.

Je nach Qualität des Harns (steril bei Verschluss durch Harnstein oder infiziert bei Verschluss durch Eiter-/Fibrinpfropf) ist die Folge der Blasenruptur im ersten Fall Uroperitoneum, das nach Wiederherstellung des Harnabflusses resorbiert wird, im zweiten Fall generalisierte Peritonitis mit aussichtsloser Prognose. Folge einer Urethraruptur ist im ersten Fall ein Harnödem, das meist einer Gangrän anheimfällt, die aber keine lebensbedrohliche Komplikation darstellt. Im zweiten Fall entwickelt sich eine Harnphlegmone, die mit schlechter Prognose verbunden ist. Daher ist die Abklärung der Ursache des Harnröhrenverschlusses von entscheidender Bedeutung für die Einschätzung und das weitere Vorgehen.

  Video, 12 Sek., 884 kB  Die Sequenz zeigt ein Rind mit Uroperitoneum. Kurze Stöße in die linke Hungergrube erzeugen eine schwappende Bewegung (Undulation) in der rechten Hungergrube.

  Im Präputialbereich ist ein hochgradiges Harnödem erkennbar.
 

Diagnose:
Klinische Erscheinungen, bei älteren Tieren auch rektale Untersuchung, Labor (Harnstoff- und Kreatininkonzentration deutlich und in gleicher Relation erhöht = postrenale Azotämie).
 

Differentialdiagnose:
Gastrointestinale Kolik. Ist HRO gesichert, sollte versucht werden, die beiden genannten Gruppen auseinanderzuhalten, denn Tiere mit chonisch-eitriger Harnwegsinfektion haben wenig Heilungsaussichten, insbesondere, wenn die Nieren (je nach Größe des Tieres rektale Untersuchung oder Palpation von außen) mit betroffen sind.
 

Therapie:
Urethrotomie mit Anlegen einer permanenten Harnröhrenfistel (s. Kapitel "Harnröhrenverschluss" im Chirurgie-Skript).
 

PubMed

 


Letzte Änderung: 28.06.2016


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