Das Wichtigste in Kürze
Die häufigste Ursache für einen Harnröhrenverschluss beim
männlichen Rind sind
Obstruktionen durch Harnsteine im Bereich der Flexura
sigmoidea.
Unterhalb des Anus kann eine Urethrotomie durchgeführt werden. Hierzu wird der Penis freigelegt, mit zwei Heften unterfangen, die Harnröhre eröffnet, ein Schlauch in die Harnblase eingeführt und die Haut mit der Harnröhrenwand vernäht. Die sich später daraus entwickelnde permanente Harnröhrenfistel bleibt in der Regel bis zu einer regulären Schlachtung erhalten. Nutzung zur Zucht ist ausgeschlossen. |
Die mit Abstand häufigste Ursache für einen Harnröhrenverschluss ist die
Obstruktion des Harnröhrenlumens durch einen oder mehrere Harnsteine. Beim
männlichen Rind
liegt der Ort des Verschlusses meist im Bereich der Flexura
sigmoidea.
Mastochsen sind häufiger betroffen (engeres Harnröhrenlumen). Als
Ursachen (s.a. Rinderskript Innere Medizin) werden Zusammensetzung der
Futterration, zu geringe Wasseraufnahme und eine tierindividuelle Prädisposition
zur Bildung von Harnkonkrementen vermutet.
Weitere Ursachen für einen Harnröhrenverschluss können die Obstruktion durch
Entzündungsprodukte (Harnwegsinfektionen, Urachitis, Zystitis, überwiegend
ältere Kälber betroffen), eine Kompression (Penishämatom, Phlegmone), Penisquetschung und angeborene
Verschlüsse sein.
Bei weiblichen Tieren kann es im Rahmen einer Geburtsverletzung mit Weichteilschwellung oder einer Retroversio vesicae urinariae zu einem Harnröhrenverschluss kommen (wird hier nicht näher abgehandelt).
Eine manuelle Stimulation des Präputiums (Präputium behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger reiben, etwa wie das internationale Zeichen für "Geld"). führt beim männlichen Rind ohne Harnröhrenverschluss fast immer zum Harnabsatz. Bei einem Verschluss wird der Schwanz leicht angehoben und unterhalb des Anus in der Medianen werden dem Verlauf des Penis folgende undulierende Bewegungen unter der Haut sichtbar.
Bei Bullenkälbern mit Harngries sind die Pinselhaare oft perlschnurartig mit Harnkonkrementen durchsetzt. Allerdings fehlen die Pinselhaare bei betroffenen Tieren häufig (durch Belecken entfernt), was ebenfalls als diagnostischer Hinweis gewertet werden kann.
Im frühen Stadium äußern die Tiere ihre Schmerzen durch Zähneknirschen, sägebockartiges Stehen mit leicht abgehaltenen Schwanz und Koliksymptome (Stampfen mit den Hinterbeinen). Bei länger bestehendem Verschluss können diese auch wieder verschwinden.
Wird die Harnblase im Bereich des Blasenhalses oder die Harnröhre durchlässig,
so läuft Harn (vermutlich subkutan, der Schwerkraft folgend) nach ventral und sammelt
sich im Bereich des Präputiums an (Harnödem). Später kann die Haut hier nekrotisch werden
(Harngangrän, schimmert bläulich und ist kalt) oder, wenn es sich um infizierten Harn handelt,
kann es zu einer Harnphlegmone kommen. Später kann die Haut hier
nekrotisch werden (Harngangrän, schimmert bläulich und ist kalt) oder, wenn es
sich um infizierten Harn handelt, kann es zu einer Harnphlegmone kommen.
Rupturiert die Harnblase
oder ein Harnleiter so fließt der Harn in die Bauchhöhle (Uroperitoneum),
handelt es sich um infizierten Harn, kommt es zur Peritonitis.
Die Differenzierung muss vor der Entscheidung zum weiteren Vorgehen erfolgen,
denn in Fällen von
Harnphlegmone oder Peritonitis sollte von einem chirurgischen Eingriff abgesehen
und das Tier umgehend euthanasiert werden.
Bei größeren Tieren kann transrektal die pralle Harnblase palpiert werden, bei kleineren Tieren kann die Harnblase mittels Echographie dargestellt werden. Dabei kann auch das Vorliegen eines Uroperitoneums (anechogene Flüssigkeit) oder einer Peritonitis (mehr oder weniger echogen, mit flottierenden hyperechogenen Strukturen (Fibrin)) diagnostiziert werden. Es empfiehlt sich, auch die Nieren echographisch zu untersuchen, denn massive Stauungs- und vor allem Entzündungsanzeichen verschlechtern die Prognose.
Echographie der stark dilatierten (Durchmesser ca. 12 cm) Harnblase eines Kalbes.
Schallrichtung: von ventral nach dorsal.
Der in der unteren
Hälfte der Harnblase sichtbare echogenere Bereich ist kein Harngries, sondern ein
Artefakt.
Echographie: M. Metzner
Ein weiteres Symptom für einen Harnröhrenverschluss, ist die Ausbildung eines Harnödems. Dabei sammelt sich Harn in der Unterhaut des Präputialbereichs (vermutlich durch Austritt von Harn im Bereich des Harnblasenhalses oder aus der Uretra).
Foto: M. Metzner
Labordiagnostisch besteht eine postrenale Azotämie (in gleicher Relation angestiegene Harnstoff- und Kreatinplasmakonzentration).
Der Eingriff dauert bei einfachen Fällen ca. 30 Minuten. Gelingt das
Einführen des Schlauches nicht, kann der Eingriff auch länger dauern. Männliche Rinder bis ca. 180 kg LM sollten unter
Vollnarkose in Rückenlage operiert werden. Als Anästhesie können
Totale Intravenöse Anästhesie
(TIVA), hohe
Epiduralanästhesie oder
Inhalationsanästhesie genutzt werden.
Bei schwereren Rindern und
Rindern mit Uroperitoneum, kommt es häufiger zum Atemstillstand, weshalb
entsprechende Vorkehrungen zur Atemstimulation (Doxapram) und Beatmung
(Ambubeutel) bereitgehalten werden müssen.
Bei schwereren Rindern kann auch eine Operation am stehenden Tier unter Sedation
und tiefer Epiduralanästhesie versucht werden (Tier soll ruhig stehen, aber
nicht niedergehen...).
Verabreichung eines Antiinfektivums, Antiphlogese, Dauertropfinfusion mit
einer isotonen Elektrolytlösung, aseptische, Vorbereitung des Operationsfeldes.
Beim Rind sollten die Hinterbeine weit nach kranial ausgebunden, und es sollte
auf eine möglichst korrekte Rückenlage geachtet werden.
Ca. 10 -15 cm ventral des Anus wird in der Medianen ein ca. 8 - 10 cm langer Hautschnitt angelegt und die darunter befindliche Faszie durchtrennt. Darunter kommen die beiden Mm. retractores penis zum Vorschein, die separiert werden. Nun versucht man durch stumpfes Präparieren mit den Fingern (junge Tiere) oder durch Spreizen mit einer Arterienklemme (ältere Tiere) sich weiterhin in der Medianen zwischen den beiden Mm. semimembranosus in die Tiefe zum Penis (weißlich schimmernd, derb) vorzuarbeiten und ihn von der Unterlage zu lösen (dort fixiert über M. ischiocavernosus), bis man eine gebogene Arterienklemme darunter durchschieben kann. Zwischen den etwas gespreizten Schenkeln der Klemme werden zwei nicht resorbierbare möglichst dicke Fäden (z.B.: Supramid, metric 8) unter dem Penis durchgefädelt. Die Fadenenden werden dann beidseits mittels scharfer Nadel ca. 5 mm von der Schnittlinie entfernt durch die Haut nach außen geführt und jeweils lateral des Hautschnitts miteinander verknotet. Sie dienen dazu den Abstand zwischen Haut und Penis zu verringern, damit später Haut und Harnröhrenwand vernäht werden können. Nun wird die Harnröhre längs mit dem Skalpell eröffnet, mittels Sonde (z.B.: Rinnensonde nach PAYR) die Harnröhre in beiden Richtungen sondiert und die Inzision der Harnröhre auf ca. 4 - 5 cm verlängert. Anschließend wird ein auf einen gebogenen Edelstahldraht (z.B.: Schweißdraht) aufgezogener Infusionsschlauch in Richtung Harnblase vorgeschoben. Nach dem Ziehen des Drahtes muss Harn im Strahl abfließen. Nun werden Haut und Harnröhrenwand fortlaufend miteinander vernäht (Nadel-Fadenkombination mit scharfer Nadel (z.B.: geflochtener Polyglykolsäurefaden, HRT37s, 70 cm, metric 4)). Dabei ist darauf zu achten, dass der Einstich immer von der Haut her und dann die Harnröhrenwand durchstechend geführt wird (sog. 'Herausnähen'). Zuletzt wird der Schlauch gekürzt und mit einem Heft an der Haut fixiert.
Kalb mit Harnröhrenverschluss:
Schwanz leicht angehoben.
Harnödem im Präputialbereich
Lagerung in Rückenlage mit weit nach vorn ausgebundenen Hinterbeinen.
Inzision der Haut vor dem Abdecken mit steriler Folie, damit die
Orientierung einfacher ist.
Nach dem Durchtrennen der Faszie werden die beiden Mm. retractores penis sichtbar.
.
Nach dem Freipräparieren des Penis wird dieser mit einer gebogenen Arterienklemme unterfahren.
Zwischen den beiden Schenkeln der leicht gespreizten Klemme wird ein Supramidfaden unter dem Penis durchgefädelt.
Durchstechen der Haut ca. 5 mm vom Wundrand entfernt (insgesamt 4 Mal auszuführen).
Fadenenden vor dem Verknoten.
Lateral der Inzision liegende Knoten.
Überprüfung der längs eröffneten Harnröhre durch Sondieren mittels Rinnensonde .
Verlängerung der Inzision der Harnröhre mittels Skalpellklinge. Die Spitze der Klinge wird in der Rinnensonde geführt.
Vorbereiteter Führungsdraht mit zugeschnittenem und aufgefädeltem
Infusionsschlauch.
Die Biegung an der Spitze soll das Vorschieben im Verlauf des Penis um das
Os ischii herum erleichtern. Ein weiteres Hindernis kann die dorsal
gelegene Schleimhautfalte (Crista urethralis). darstellen.
Einführen des Schlauchs über die Harnröhre in die Harnblase.
Das Einführen kann sich sehr schwierig gestalten, insbesondere, wenn die Harnröhrenschleimhaut bereits nekrotisch ist. Hilfreich kann eine Verlängerung der Harnröhreninzision in Richtung Harnblase sein.
Fertige Naht zwischen Haut und Harnröhre.
Die Stichrichtung erfolgt immer von der Haut zur Harnröhre hin ('Herausnähen
der Harnröhrenschleimhaut'). Hierdurch schmiegt sich die Schleimhaut der
Harnröhre besser an die Haut an, das Zuwachsen der Fistelöffnung wird hierdurch
verzögert. Im dorsalen und ventralen Wundwinkel wurde
zusätzlich die Haut adaptiert (in Fortführung der Naht zwischen Haut und
Harnröhrenwand).
Der in der Harnblase liegende Schlauch wurde mit einem Heft an der Haut
fixiert, damit er nicht herausrutschen kann.
Fotos: M. Metzner
In unkomplizierten Fällen (kein Harnödem, keine Harnphlegmone, keine Peritonitis, Nieren nicht geschädigt) ist eine Haltung bis zur Ausmästung in der Regel möglich. In seltenen Fällen kann die Fistel vorher zuwachsen, dann sollte vor einem vollständigen Verschluss eine Verwertung in Erwägung gezogen werden. Auch Infektionen der Fistelumgebung sind selten.
Verabreichung eines Antiinfektivums für mindestens 5 Tage, Schmerzmittel nach
Bedarf, jedoch mindestens bis zwei Tage nach der OP.
Meist ist bereits am Tag nach der Operation das sog. 'Fistelpfeifen' hörbar
(stoßartiges Auspressen von Luft über den in der Harnblase liegenden Schlauch).
Der Schlauch kann ca. 5 Tage nach dem Eingriff entfernt werden. Alle Fäden
werden belassen! Auch wenn es sich bei Supramid um 'nicht resorbierbares
Nahtmaterial' handelt, gelingt es dem Körper im Laufe der Zeit doch die Fäden
soweit abzubauen, dass sie makroskopisch nicht mehr erkennbar sind. Wichtig ist
jedoch, dass der Zug zwischen Penis und Haut möglichst lange niedrig gehalten
wird.
1. Foto: Nach Ausbildung eines Harnödems wurde die Haut bläulich, dann nekrotisch und fiel später ab.
2. Foto: 4 Wochen später,
3. Foto: weitere 2 Wochen später.
Fotos: M. Metzner