Ketose
Acetonämie, Acetonurie
 
W. Klee  
 
 
Das Wichtigste in Kürze
Anhäufung von Ketonkörpern im Extrazellulärraum, entweder durch primäre Stoffwechselstörung oder durch Beeinträchtigung der Futteraufnahme infolge diverser Krankheiten. Ketose erhöht das Risiko für andere Erkrankungen. Unterschieden werden subklinische Ketose (definiert durch BHB-Konzentration im Blut) und klinische Ketose. Diagnose durch Nachweis der Ketonkörper in Milch oder Harn. Symptomatik bei klinischer Ketose: Zunehmende Inappetenz, Kot dunkel und fester als normal, ZNS-Störung (Blindheit, Pica, Tobsucht). Therapie: Glukose-Infusion, Verabreichung glukoplastischer Substanzen. Prophylaxe: Optimierung der Fütterung, insbesondere Vermeidung der Überfütterung in der Trockenstehzeit.


 

Prüfungsstoff
 
 
Definition Diagnostik
Epidemiologie Differentialdiagnosen
Pathogenese Therapie
Klinische Erscheinungen Prophylaxe

Definition:
Stoffwechselstörung, die durch Anhäufung von Ketonkörpern (Acetoacetat, Aceton) in der extrazellulären Flüssigkeit mit entsprechender Steigerung der Ausscheidung über Milch und insbesondere Harn (dort gegenüber dem Plasma stark angereichert) gekennzeichnet ist. 3-Hydoxybutyrat ist zwar chemisch kein Ketonkörper, wird aber im Allgemeinen bei der Besprechung der Ketose dazu grerchnet. Unterschieden werden subklinische Ketose, die allein auf der Basis der Erhöhung der Konzentration von BHB definiert wird, wobei der Schwellenwert unterschiedlich angegeben wird (1,0 bis 1,4 mmol/L oder 10,4 mg/dL bis 14,6 mg/dL; Obergrenze 2,9 mmol/L), und klinische Ketose. Außerdem ist primäre Ketose, eine echte Stoffwechselerkrankung, die Ähnlichkeit mit Typ 2 Diabetes hat, von sekundärer Ketose zu unterscheiden, die meist Folge einer Beeinträchtigung der Futteraufnahme aufgrund einer Primärkrankheit ist.
 

Epidemiologie:
Die Inzidenz klinischer Ketose beträgt in Hochleistungsherden etwa 5 %, bei erheblichen Fehlern in der Fütterung kann sie auch deutlich höher sein. Betroffen sind meist ältere Kühe in den ersten Wochen der Laktation.
Die Inzidenz von subklinischer Ketose hängt von gewählten Schwellenwert (cutoff) ab und wird naturgemäß um so höher ausfallen, je niedriger dieser Wert gesetzt wird. Die Inzidenz ist in großen Herden höher als in kleinen.
Je früher post partum subklinische Ketose auftritt, desto schwerwiegender sind die damit assoziierten Ereignisse (Erkrankungen [s.u.], Minderleistung, Verlängerung der Güstzeit, Risiko der Abschaffung).
 

Pathogenese:
Die Bildung von Ketonkörpern ist grundsätzlich ein physiologischer Vorgang. In einer Mangelsituation kann die Leber durch Bildung von Ketonkörpern aus freien Fettsäuren andere Gewebe (insbesondere die quergestreifte Muskulatur) mit Energie versorgen.

Die Bildung von Ketonkörpern ist kein Alles-oder-Nichts-Vorgang, sondern es gibt ein ganzes Spektrum an Intensitäten, deren klinische Korrelate von symptomarmer ("subklinischer") Ketonämie und -urie bis zu Tobsuchtsanfällen ("Nervöse Ketose") reichen. Ketoazidose (wie etwa beim Diabetes mellitus des Menschen) tritt beim Rind selten in klinisch relevanter Ausprägung auf.

Erhöhung der Ketonkörperkonzentration im Blut kann auf verschiedene Weisen entstehen (s. unten).

Laktose kann nur aus Glukose gebildet werden. Die Rate der Synthese von Laktose (Masse pro Zeit) bestimmt im Wesentlichen die Rate von Milchbildung. In einem Liter Milch sind 50 g Laktose, während im gesamten Extrazellulärraum einer Kuh nur etwa 100 g Glukose vorhanden sind. C-Atome aus Glukose erscheinen auch im Milchfett und im Milcheiweiß. Daher hat Glukose überragende Bedeutung für die Milchproduktion. Es ist nicht ganz korrekt, wenn oft undifferenziert von "Energiemangel" als Ursache für Ketose gesprochen wird. Das Schlüsselereignis ist Glukosemangel. Glukose wird bei ruminierenden Wiederkäuern so gut wie ausschließlich durch Glukoneogenese in der Leber bereitgestellt.

Das Euter ist bei der Aufnahme von Glukose aus dem Plasma weitgehend unabhängig von Insulin. Außerdem hat die Verwendung der Parameter "Einsatzleistung" und "100-Tage-Leistung" in der Rinderzucht zur Selektion von Kühen mit "aggressiven" Eutern geführt. Diese Euter nehmen sozusagen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der übrigen Organe Glukose zur Milchproduktion auf..

Formen der Ketose-Entstehung:
Ketogene Ration:
In manchen Silagen, insbesondere in nassen und nicht korrekt gegorenen, wird statt Milchsäure Buttersäure in größeren Massen gebildet. Buttersäure wird vom Pansen resorbiert und in der Wand zu ß-Hydroxybutyrat umgewandelt, das im Blut erscheint und auch über Milch und Harn ausgeschieden werden kann, wenn die Verwertungsmöglichkeiten überschritten sind. Diese Form der Ketonämie ist an sich relativ unproblematisch, weil sie weder mit Hypoglykämie noch mit Störung der Leberfunktion verbunden ist. Da Silagen mit hohem Buttersäureanteil nicht optimal aufgenommen werden, besteht jedoch die Gefahr, dass sich die Situation kompliziert.

Absolut unzureichende Ration:
Diese Form spielt heute bei uns kaum eine Rolle mehr, wohl aber in armen Ländern. Mitunter führen jedoch gravierende Fehler im Fütterungsmanagement zu vergleichbaren Zuständen.

Beeinträchtigung der Futteraufnahme:
Die sich auf dieser Basis entwickelnde Form wird üblicherweise als sekundäre Ketose bezeichnet. Während der Trockenstehzeit überfütterte Kühe neigen schon kurz vor der Kalbung und besonders in den ersten beiden Wochen danach zu Lipohypermobilisation (siehe dort) mit Reduktion der Fresslust. Weitere Ereignisse und "Grundkrankheiten", welche ebenfalls zu Appetitminderung führen, sind Schwergeburt, Gebärparese, Mastitis, Endometritis, Labmagenverlagerung, Klauenerkrankungen. Umgekehrt erhöht Ketose das Risiko für andere Krankheiten, zum Beispiel der Klauen sowie Mastitis, Endometritis und Labmagenverlagerung.
Beeinträchtigung der Futteraufnahme kann in Laufställen auch dann vorkommen, wenn nicht genügend Fressplätze vorhanden sind und/oder rangniedere Tiere (Jungkühe!) von ranghöheren abgedrängt werden.
Die Bedeutung der Rationsgestaltung und des Fütterungsmanagements nimmt mit der Leistung der Kühe zu. Hochleistungskühe wandern auf einem schmaleren Grat als Kühe mit niedriger Leistung.

Sogenannte spontane Ketose:
Hierbei handelt es sich um eine echte metabolische Erkrankung, deren Entstehungsweise noch nicht völlig geklärt ist. Möglicherweise spielen individuelle Disposition hinsichtlich der Hormonproduktion oder Ansprechbarkeit für Hormone (insbesondere Insulin) eine Rolle.
 

Klinische Erscheinungen (bei klinischer Ketose):
Nachlassen der Milchleistung und der Fresslust, wobei meist zuerst die Aufnahme von Kraftfutter verweigert wird. Der Kot wird fester und dunkler als normal. Harn, Ausatemluft und Milch enthalten Ketonkörper, die von manchen Menschen gerochen werden können. Im weiteren Verlauf verlieren die Tiere rasch an Körpermasse. Symptome von seiten des ZNS können auftreten: Blindheit, anhaltendes , "geistesabwesendes" Belecken der Umgebung, Speicheln, Tobsuchtsanfälle, Nachhandparese. Spontanheilungen sind möglich.

Subklinische Ketose kann definitionsgemäß nur durch Nachweis von Ketonkörpern in Harn, Milch oder Blut erfasst werden.
 

Diagnostik:
Nachweis von Ketonurie. Die Intensität der Ausscheidung von Ketonkörpern kann auf einfache Weise grob quantifiziert werden (s. ROTHERA-Test im Glossar). Teststicks zur Untersuchung von Harn weisen Acetoacetat nach. Die Konzentration von BHB kann in Milch mit Teststreifen semiquantitativ bestimmt werden. Zur Messung der BHB-Konzentration im Blut gibt es kleine ("handheld") Geräte aus der Humammedizin. Die Diagnose lässt sich aber durch die beschriebenen einfachen Methoden hinreichend sicher stellen.

Differentialdiagnosen:
Nach auslösenden Krankheiten (insbesondere Labmagenverlagerung) ist zu fahnden (primäre oder sekundäre Ketose?).
Bei chronischem Verlauf, der im Wesentlichen durch Abmagerung gekennzeichnet ist, kommt naturgemäß eine größere Zahl von anderen Krankheiten in Frage.
Bei zentralnervöser Symptomatik ist auch an Bleivergiftung, Tetanie, Tollwut und Listeriose zu denken.
 

Therapie (bei klinischer Ketose):
Infusion von Glukose. Die weit verbreitete Injektion von Glukokortikoiden ist meist wirksam, zumindest vorübergehend. Sie bewirkt Steigerung der Glukoneogenese, Verminderung der Glukoseutilisation, vor allem aber Reduktion der Milchleistung. Die Problematik der Immunsuppression (BHV1-Reaktivierung!) ist zu beachten.
Orale Verabreichung von so genannten glukoplastischen Substanzen: Propylenglykol oder Natrium-Propionat. Bei der Dosierung von Natrium-Propionat ist zu beachten, dass nach der Verstoffwechselung von Proprionat vorübergehend Alkalose entsteht. (Je nach "Glaubensrichtung" beruht sie auf einer Erhöhung der Differenz der Konzentrationen starker Ionen oder auf der Erhöhung der Konzentration von HCO3.)
Bewegung fördert die Verstoffwechselung von Ketonkörpern.

Bei subkinischer Ketose hängt das wirtschaftlichste Vorgehen (abgesehen von Korrektur etwaiger erkennbarer Fehler in der Fütterung) von der Inzidenz ab. Bei sehr hoher Inzidenz (> 50%) und TMR-Fütterung dürfte die Einmischung von Propylenglykol in die TMR in der kritischsten Zeit (also etwa in der zweiten Woche post partum) die einfachste Möglichkeit sein; bei deutlich niedrigerer Inzidenz soll Testung und individuelle orale Behandlung die ökonomischere Variante sein.
 

Prophylaxe:
Korrekte Gestaltung der Fütterung. Es ist aus praktischen und didaktischen Gründen sinnvoll, mindestens drei Rationen zu unterscheiden.

Die erste Ration steht auf dem Papier und ist oft nicht mehr als eine Absichtserklärung des Betriebsleiters. Besser als auf dem Papier sieht eine Ration sehr selten aus. Mit Hilfe von inzwischen recht einfach zu bedienenden und leistungsfähigen Computerprogrammen kann eine Ration überprüft und nötigenfalls optimiert werden. Kriterien sind:
Deckung des Bedarfs an Energie und allen Nährstoffen, aber keine Überfütterung ante partum. Gegebenenfalls Ersatz eines Teils der Ration durch gehäckseltes Weizenstroh.
Wiederkäuergerechtheit (ausreichender Anteil an strukturierter Rohfaser)

Die zweite Ration ist das, was die Kühe im Futtertrog vorfinden. Dazu gehört zum einen die Qualität der vorhandenen Futtermittel, zum andern die Fütterungstechnik ("feedbunk management"). Kriterien sind:
Anschnitt der Silagen
Verweildauer von Silageblöcken im Stall
Reihenfolge der Verabreichung der einzelnen Futtermittel
Bei TMR Erhalt der Struktur oder "Vermusung"? (ggf. Prüfung mit 3 Sieben)
Aussehen des Troges (schmierige, übelriechende Beläge und/oder harte Unebenheiten?)
Menge und Aussehen des übriggelassenen Futters
Zahl, Anordnung, Sauberkeit und Funktionstüchtigkeit der Tränken sowie ggf. der Kraftfutterautomaten
Anteil der in Ruhephasen wiederkäuenden Kühe (Soll: > 50 %)
Farbe und Struktur der Fäzes.

Die dritte Ration schließlich ist das, was den Tieren für Erhaltung und Leistung zur Verfügung steht, und wird am besten auch daran geprüft. Kriterien sind
Verlauf der Laktationskurve
Milchinhaltsstoffe (Eiweißkonzentration, Fett/Eiweiß-Quotient, Harnstoffkonzentration)
Dynamik des Ernährungszustandes im Verlauf der Laktation (s. "body condition score" im Glossar).

Ziel der Maßnahmen im Bereich der Fütterung ist es, bei Ausschöpfung des genetisch bedingten Leistungspotentials die Diskrepanz zwischen Nährstoffbedarf und -aufnahme so gering wie möglich zu halten. Dazu muss die Ration eine gewisse Energiedichte aufweisen (Grundfutterqualität!), und es muss alles vermieden werden, was Kühe in der Phase der negativen Energiebianz daran hindert, die maximale Masse an Trockensubstanz aufzunehmen. Wenn es die Infrastruktur eines Betriebes erlaubt, kann es sinnvoll sein, die Erstlaktierenden im ersten Monat der Laktation separat aufzustallen, da sie dann nicht durch ältere Kühe bedrängt werden.

Monensin ist in Form eines intraruminalen Systems mit kontinuierlicher Freigabe zur "Senkung der Häufigkeit von Ketosen bei Milchkühen in der peripartalen Phase" zugelassen und auf dem Markt. Es verändert die Fermentation im Pansen, mit dem Ergebnis der Erhöhung des Anteils von Propionsäure, die als C3-Körper in der Gluconeogenese verwendet werden kann.

PubMed
 
 


 


Letzte Änderung: 06. 06. 2017


home-page      Inhaltsverzeichnis
© Copyright 2017, Klinik für Wiederkäuer, Ludwig-Maximilians-Universität München