Enzootische Kalzinose
 
W. Klee
 
 
Das Wichtigste in Kürze

Chronische Vergiftung durch Pflanzeninhaltsstoffe mit Vitamin D-Wirkung. Im Alpen- und Voralpengebiet durch Goldhafer. Vitamin D fördert die Aufnahme von Kalzium aus dem Darm sowie die Kalziumablagerung in Knochen und anderen Geweben (vor allem in elastischem Bindegewebe wie Sehnen und Gefäßintima). Es kommt zu pathologischen Verkalkungen. Enzootische Kalzinose tritt als Gruppenerkrankung bei in gleicher Weise exponierten Tieren auf. Die Rinder magern ab, bewegen sich ungern, verharren beim Aufstehen lange auf den Karpalgelenken und halten im Stehen die Karpalgelenke leicht gebeugt. Palpatorisch ist keine Differenzierung der Strukturen von Metakarpus und Metatarsus mehr möglich. Anhand der klinischen Symptome kann eine Verdachtsdiagnose gestellt werden. Pathologisch-anatomisch bestehen ausgeprägte Verkalkungen in vielen Bindegeweben. Therapie nicht möglich. Prophylaktisch kann in betroffenen Regionen der Goldhafer in der Gräserpopulation durch häufigen Schnitt zurückgedrängt werden. Goldhaferreiches Heu sollte mit goldhaferarmem Heu "verschnitten" werden.


 

Prüfungsstoff
 
 
Ätiologie Diagnostik
Epidemiologie Differentialdiagnosen
Pathogenese Therapie
Symptome Prophylaxe

Ätiologie:
Chronische Vergiftung durch Pflanzeninhaltsstoffe mit Vitamin-D-Wirkung.

Vergiftungen mit Vitamin D kommen auch auf andere Weise zustande, so zum Beispiel nach mehrfacher Applikation hoher Dosen zur Gebärpareseprophylaxe (s. dort). Da Vitamin D auch als Schädlingsbekämpfungsmittel verwendet wird, erscheinen Vergiftungen auch von dieser Seite her möglich und sind bei Schweinen auch schon vorgekommen.
 

Epidemiologie:
In verschiedenen Gebieten der Erde gibt es Pflanzen, welche entweder Vitamin-D-Hormon (1,25-DHCC) oder Substanzen mit Vitamin-D-Wirkung enthalten, so. z. B. Solanum malacoxylon in Südamerika, Solanum torvum in Papua, Neuguinea, Cestrum diurnum in Florida und Jamaika.
Im Voralpengebiet von Österreich, Deutschland und der Schweiz kommt bei Rindern und kleinen Wiederkäuern eine enzootische Kalzinose vor, die durch Goldhafer (Trisetum flavescens) verursacht wird, wenn diese Pflanze, die Teil der normalen Gräserpopulation von Weiden ist, überhand (>> 20 %) nimmt. Das aktive Prinzip in dieser Pflanze ist neben Vitamin D3 (Cholecalciferol) das 1,25(OH)2D3-C(25)-Glukosid, aus dem im Pansen 1,25(OH)2D3 (Vitamin-D-Hormon) freigesetzt wird. Die Ätiologie der enzootischen Kalzinose im Voralpengebiet  wurde durch Arbeitsgruppen  an der Münchner Tierärztlichen Fakultät (Dirksen, Hänichen, Zucker, Rambeck) aufgeklärt.
Die Häufigkeit von Verkalkungen bei älteren Schlachtkühen aus dem Voralpengebiet ist seit Aufklärung der Ursache deutlich zurückgegangen. Über einzelne Ausbrüche bei Rindern und Ziegen wurde jedoch in jüngster Zeit aus der Schweiz berichtet.
 

Pathogenese:
Vitamin D wird in der Leber zu 25-Hydroxycholecalciferol und in der Niere zu 1,25(OH)2D3, dem Vitamin-D-Hormon metabolisiert, das die Aufnahme von Kalzium aus dem Darm sowie die Kalziumablagerung in Knochen und anderen Geweben (vor allem elastischem Bindegewebe wie Sehnen und Gefäßintima) fördert. Es kommt zu pathologischen Verkalkungen.
Bei Kaninchen führt die Verfütterung von Goldhafer innerhalb weniger Tage zu einem Anstieg des P-Blutspiegels.
 

Symptome:
Es handelt sich naturgemäß um eine Gruppenerkrankung bei gleichermaßen exponierten Tieren, wobei aber eine deutliche Variation der Schweregrade entstehen kann. Betroffene Tiere stellen die Haare auf, haben zum Teil Untertemperatur, magern ab, bewegen sich ungern, verharren beim Aufstehen lange auf den Karpalgelenken (wohl, weil die Streckung der verkalkten Beugesehen weh tut) und fressen sogar in dieser Haltung. Sie stehen mit untergestellten Gliedmaßen, aufgekrümmtem Rücken, aufgezogenem Bauch. Die Karpalgelenke werden leicht gebeugt gehalten, vor allem vorn sind die Klauen mitunter nach außen gedreht (bodenweit).  Bei der Palpation der Gliedmaßen fällt auf, dass Metakarpus und Metatarsus wie aus Holz geschnitzt erscheinen, das heißt, es ist keine Differenzierung der Strukturen (oberflächliche und tiefe Beugesehne, M. interosseus medius) mehr möglich. Druckempfindlichkeit besteht nur bei starkem Druck. Trippeln. Beim Gehen sind die Schritte nach vorn verkürzt. Die Milchleistung ist deutlich reduziert. Bei experimenteller Goldhafervergiftung zeigten Schafe Herzarrhythmien.


Das Tier ist abgemagert, die Karpalgelenke sind leicht gebeugt, Metakarpal- und  Metatarsalbereich sind geringgradig verdickt und stark verhärtet (palpatorisch: "wie aus Holz geschnitzt")
 

Diagnostik:
Vorbericht und klinische Erscheinungen erlauben eine begründete Verdachtsdiagnose. Klinisch-chemisch lässt sich Hyperphosphatämie und leichte Hyperkalzämie nachweisen. Pathologisch-anatomisch sind ausgeprägte Verkalkungen in vielen Bindegeweben, vor allem der Intima großer Gefäße (Aorta, A. iliaca, A. pulmonalis), festzustellen. Sonographie des Herzens, der Aorta abdominalis und der Nieren kann hilfreich sein.
 

Differentialdiagnosen:
Osteomalazie, chron. Fluorvergiftung.
 

Therapie:
Keine möglich. In leichteren Fällen kann sich nach Absetzen des goldhaferreichen Futters eine gewisse Besserung einstellen.
 

Prophylaxe:
Durch häufigeren Schnitt wird Goldhafer in der Gräserpopulation etwas zurückgedrängt. Intensive Düngung fördert dagegen Gräser allgemein und damit auch Goldhafer. Umbruch (oder Behandlung mit einem Totalherbizid) mindestens eines Drittels der Grünflächen und anschließende Neuansaat ohne Goldhafer ist die sicherste Methode. Für Almweiden, die einer solchen Behandlung nicht unterzogen werden können, empfiehlt sich die Heugewinnung. Bei der Verfütterung sollte dieses Heu mit goldhaferarmem Heu "verschnitten" werden.
 

PubMed
 
Danksagung: Für den Hinweis auf einen Fehler danke ich Christoph Dörfler.

Weiterführende Informationen
 



Letzte Änderung: 14.12.2007


home-page      Inhaltsverzeichnis
© Copyright 2008, Klinik für Wiederkäuer, Ludwig-Maximilians-Universität München