2.5. Spezielle Untersuchung: Verdauungsapparat

Die Frage nach der Futteraufnahme und (bei älteren Rindern) nach dem Wiederkauen ist ein unverzichtbarer Teil der Anamneseerhebung bei allgemein kranken Patienten. Vorhandensein oder Wiederkehren des Wiederkauens ist stets ein gutes Zeichen. Der orale Transport eines Wiederkaubissens kann an der linken Halsseite beobachtet werden. Wiederkaubissen gelangen auf folgende Weise in den Ösophagus: das Rind führt bei geschlossener Glottis und erschlaffter Kardia eine Inspirationsbewegung aus. Dadurch wird der Unterdruck im Thorax verstärkt, und der Teil des Panseninhalts, der direkt vor der Kardia ist, wird in den Ösophagus hineingesaugt.

Maulhöhle:

Adspektion und Palpation:

Inspektion des vorderen Teils der Maulhöhle: die Maulhöhle des Rindes wird geöffnet, indem man mit einer Hand im Bereich des Diastemas in die Maulhöhle eingeht und leicht gegen den harten Gaumen drückt.
Adspektion oder Palpation des aboralen Teiles der Maulhöhle ist nur unter Zuhilfenahme von Instrumenten möglich:
Geprüft werden: Kieferschluß, Schleimhautbeschaffenheit, Zähne und Kiefer, Zunge, Speicheldrüsen und Lymphknoten, auf nicht abgeschlucktes Futter ("Wickel"), Fremdkörper, Maulhöhlengeruch.

Schlund:

Auf der linken Halsseite kann im Bereich der Drosselrinne der Weg des abgeschluckten Futterbissens verfolgt werden. Der Palpation ist nur der Halsteil zugänglich, normalerweise ist der Schlund nicht zu fühlen. Man achtet auf Umfangsvermehrungen, Emphysem, Phlegmone, etc.

Sondierung mittels

Pansen:

Adspektion der linken Hungergrube: eingefallen - verstrichen - vorgewölbt

Palpation: Füllungsgrad und Schichtung (dorsale Gasblase normalerweise nicht fühlbar, knetbarer Inhalt in der Mitte, flüssiger Inhalt ventral) werden durch Eindrücken mit der Faust geprüft.

Videosequenz, 11 Sek., 1,7 MB   In der Sequenz wird die palpatorische Überprüfung des Panseninhalts in der linken Hungergrube und Flanke einer Kuh gezeigt.

Auskultation in der linken Hungergrube: physiologischerweise 2 bis 3 kräftige Kontraktionen in 2 Minuten. Bewertet werden Frequenz und Intensität ((+)--, +--, ++-, +++) der Pansenmotorik. Bei Vorhandensein von Pansenmotorik => Doppelauskultation (s. unten).
Tonsequenz, 21 Sek., 0,5 MB   In der Tonsequenz ist die Auskultation in der linken Hungergrube wiedergegeben. Neben guter Grundmotorik sind eine etwas schwächere und eine etwas stärkere Kontraktionswelle erkennbar.
Der Pansen des Milchkalbes wird mittels Schwing- und Perkussionsauskultation untersucht (s. unten).

Pansensaftentnahme und Untersuchung

Entnahme beim erwachsenen Rind mittels Stahldrahtspiralsonden, z. B. lenkbare Sonde nach DIRKSEN oder einfache Spiralsonde mit perforiertem Kopf (Vakuum nötig); kleine Mengen Pansensaft können ohne Vakuum mit der Sonde nach HAMBURGER gewonnen werden.

Beim Kalb werden Plastiksonden mit perforiertem Messingkopf verwendet. In der Regel ist beim Milchkalb kein Vakuum nötig, um Pansensaft zu gewinnen (entweder er läuft spontan ab, oder es ist genug im Sondenkopf).

Beurteilt werden:

Der physiologische Pansensaft des ruminierenden Rindes ist grau- bis grünoliv, leicht viskös, aromatisch riechend; es sind zahlreiche gut bewegliche Infusorien zu sehen; pH - Wert: 5,5 - 7,4; Chloridkonzentration: 15 - 30 mmol/l.
Deutliche Erhöhung der Chloridkonzentration weist auf Rückfluss von salzsäurehaltigem Labmageninhalt in den Hauben-Pansenraum.

Schmerzproben

Es soll z.B. eine durch traumatische Retikuloperitonitis verursachte erhöhte Schmerzhaftigkeit im Haubenbereich nachgewiesen werden. Die Untersuchung sollte in ruhiger Umgebung stattfinden. Eine Person steht am Kopf des Rindes, um im positiven Fall die Schmerzreaktion ("Anstoßen") zu hören.

Rückengriff und Stabprobe zeigen relativ unspezifisch Schmerzen in der Bauchhöhle an, während mit der Schmerzperkussion der Sitz der Schmerzhaftigkeit genauer eingegrenzt werden kann.

Ultraschalluntersuchung

Läßt sich eindeutig nachweisen, daß sich die Haube bei der charakteristischen zweiphasigen Kontraktion ganz vom Bauchhöhlenboden abhebt, ist eine akute Ret. per. traum. unwahrscheinlich.

Video, 13 Sek., 2 MB   Im Video wird die Ultraschallaufnahme der Haubengegend bei einer Kuh ohne Fremdkörperverdacht gezeigt: es sind keine Verwachsungen (ggf. als echogene Strukturen erkennbar) zu sehen, und die Haube hebt sich deutlich von der Unterlage (Zwerchfell) ab. Im Verlauf eines Pansenkontraktionszyklus ist die Kontraktion der Haube zweiphasig: erst einere kleinere Kontraktion, dann das unvollständige Erschlaffen und dann eine größere Kontraktion. Das nachfolgende Bild zeigt die im Video erkennbaren Strukturen (der Schallkopf ist nach dorsal gerichtet => dorsal ist im Bild unten).

   1 = Zwerchfell,  2 = Haubenwand
 

Video, 12 Sek., 0,9 MB   Im Video wird die Ultraschallaufnahme der Haubengegend bei einer Kuh mit Reticuloperitonitis gezeigt. Deutlich ist die zweiphasige Kontraktion des Hauben/Schleudermagenüberganges erkennbar, die Haube hebt jedoch nicht von der Unterlage ab.

Der Einsatz eines Metallsuchgerätes ist nur sinnvoll, wenn das Tier keinen Magneten in der Haube hat.

Labmagen

Adspektion: bei hochgradig verlagertem Labmagen ist dieser manchmal kranial in der Hungergrube zu sehen.

Doppelauskultation: wenn in der linken Hungergrube (blaue Markierung) Pansenmotorik zu hören ist, wird auch ventrokranial der Hungergrube über der rippengestützten Bauchwand (rote Markierung) auskultiert. Liegt unter dieser Stelle der nach links verlagerte Labmagen, so ist hier keine Pansenmotorik zu hören (das Gas im Labmagen leitet Schall schlecht), aber evtl. spontane metallische Labmagengeräusche.

Bei der Schwingauskultation (es wird über der gesamten Bauchwand auskultiert und dabei die Bauchwand mit der Faust in Schwingungen versetzt) sind im Falle einer Labmagenverlagerung metallische Plätschergeräusche zu hören.

Bei der Perkussionsauskultation (während der Auskultation über der gesamten Bauchwand wird mit einem Hammerstiel (oder Schere) auf die Bauchwand geklopft oder mit dem Finger geschnippt) sind typischerweise metallische Klingelgeräusche, evtl. in wechselnden Tonhöhen (steel band) zu vernehmen.

Video, 30 Sek., 2,2 MB  In der Videosequenz werden nacheinander die 'Perkussionsauskultation' (erst Schnipsen mit dem Zeigefinger, dann zur Verstärkung des Klangs Perkussion mit der Schere) und die 'Schwingauskultation' durchgeführt.

Ton,   17 Sek., 446 kB  Perkussionsauskultation über der rippengestützten Bauchwand im dorsalen Drittel. In der Aufnahme ist lautes metallisches Klingeln bei einer Kuh mit linksseitiger Labmagenverlagerung zu hören. Man beachte die wechselnde Tonhöhe, die durch stärkere oder geringere Kompression des Organs durch den sich bewegenden Pansen zustande kommt.

Ton, 11 Sek., 270 kB   Schwingauskultation über der rippengestützten Bauchwand im dorsalen Drittel. In der Aufnahme ist lautes, helles Plätschern bei einer Kuh mit linksseitiger Labmagenverlagerung zu hören.

Die Schwing- und Perkussionsauskultation wird bei jedem Rind auf beiden Seiten durchgeführt !!!

Positive Befunde bei der Schwing- und Perkussionsauskultation kennzeichnen ein - je nach Tonhöhe - mehr oder weniger gespanntes Hohlorgan, in dem Flüssigkeit und Gas unmittelbar aneinandergrenzen. Es sind bei positiven Befunden folgende Ausganspunkte möglich:

Links:

Rechts: Rektale Untersuchung Kotuntersuchung Physiologischerweise ist der Kot von Kälbern mittel- oder dickbreiig; der von erwachsenen Rindern mittelbreiig; ausgetrockneter, geformter Kot spricht für verlängerte Verweildauer im Dickdarm oder für Mängel in der Wasserversorgung. Der Kot ruminierender Rinder riecht aromatisch. Der Zerkleinerungsgrad des Kotes hängt von der Wiederkautätigkeit und der Vormagenfunktion ab. Schlecht zerkleinerter Kot zeigt also Störungen des Wiederkauens oder einen beschleunigten Abgang des Futters aus den Vormägen an
(z. B. bei Störung der Sortierungsfunktion der Haube infolge einer Fremdkörper-erkrankung).

Beimengungen:

Parasitologische Untersuchung - s. Parasitologie

Leber

Im Rahmen der klinischen Untersuchung des Rindes ist nur die Perkussion des Leberfeldes von Bedeutung.

Perkussion der Leber

Das Perkussionsfeld der Leber schließt sich rechts kaudodorsal an den kaudalen Rand des Lungenperkussionsfeldes an (s. dort). Die Perkussion der Leber ergibt normalerweise eine drei bis vier Finger breite und ungefähr handlange vollständige Dämpfung, die gegenüber dem Lungenfeld und der Bauchhöhle deutlich abzugrenzen ist. Die zu hörende Dämpfung kann bei raumfordernden Prozessen in der Bauchhöhle nach kranial, bei Tieren mit Lungenemphysem nach kaudal verschoben sein. Wenn die Leber aufgrund eines Pneumoperitoneums der Bauchwand nicht anliegt oder durch einen nach rechts verlagerten Labmagen von der Bauchwand abgedrängt wird, ist keine Leberdämpfung erkennbar (u. a. wichtig für die Differentialdiagnostik von Klingeln und Plätschern auf der rechten Seite!). Hinweise auf eine eventuell vorliegende Lebererkrankung ergeben sich aus der Vergrößerung des Leberperkussionsfeldes und einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit.

Weitere Untersuchungstechniken sind: Echographie, Untersuchung von Leberbioptaten und Laboruntersuchungen geeigneter Blutproben (z.B. Leberenzyme, Bilirubin).

Bauchwand und Bauchhöhle

Prüfung der Bauchdeckenspannung: rechts (!) oberhalb der Kniefalte mit dem Rücken der locker halb angewinkelten Hand; normalerweise weich, in unterschiedlichem Grad gespannt bei schmerzhaften Prozessen im Abdomen, bei starker Füllung der Eingeweide oder bei Hochträchtigkeit.

Untersuchung des Nabels: extraabdominal: Umfangsvermehrung (ggf. Reponierbarkeit), Wärme, Druckempfindlichkeit, Sekretion, Konsistenz.

Tiefe Palpation der intraabdominalen Nabelgefäße (soweit möglich am stehenden Tier; bei größeren Kälbern, verdickter Bauchwand oder gespanntem Bauch am in Seitenlage liegenden Kalb): die Bauchdecke wird in der Medianen kranial und kaudal des Nabels mittels Zangengriff erfaßt (in Seitenlage schiebt der Untersucher mit der anderen Hand störende Eingeweideteile nach oben) und die intraabdominalen Nabelgefäße durchtastet (Nabelvene nach kranial, Urachus und Nabelarterien nach kaudal, bzw. kaudodorsal).

Bauchhöhlenpunktion: Wird bei Verdacht auf (jauchig-) fibrinöse Peritonitis durchgeführt. Die günstigste Punktionsstelle befindet sich ca. handbreit rechts des Nabels (cave: die in dieser Region verlaufende Eutervene schonen !). Zur Vorbereitung wird die Punktionsstelle rasiert, mit Alkohol entfettet und mit einer Jodlösung desinfiziert. Sodann wird mit einer weitlumigen (ca. 2,0 mm) und ausreichend langen (ca. 10 cm) Kanüle schräg nach kaudo-dorsal die Bauchwand durchstochen.
Beim gesunden Rind ist keine Bauchhöhlenflüssigkeit gewinnbar.
Sollte trotz begründeten Verdachtes auf Vorliegen pathologischer Veränderungen spontan kein Sekret ablaufen, kann eine Verstopfung der Kanüle (z.B. durch Fibrin) die Ursache sein. Ein eventuell in der Kanüle vorhandener Pfropf wird durch Einspritzen von Luft (mittels einer Spritze) entfernt. Sofern verfügbar, sollte eine Kanüle mit eingeschliffenem Mandrin (und seitlichen Löchern) verwendet werden. Nach der Punktion wird die Einstichstelle wieder mit Jodlösung desinfiziert.

Video, 80 Sek., 5,7 MB   In der Sequenz wird die Punktion der Bauchhöhle einer Kuh mit Ascites gezeigt (nach Vermischen des Punktats mit CMT-Testflüssigkeit ist keine Gelbildung erkennbar -> nicht zellreiche Flüssigkeit)

Video, 20 Sek., 3,2 MB   In der Sequenz wird die Ultraschalluntersuchung der Bauchhöhle einer Kuh mit Ascites gezeigt. Zu Beginn der Sequenz eine Untersuchung rechts des Nabels: es ist die stark vermehrte und vollkommen anechogene Bauchhöhlenflüssigkeit (schwarz) erkennbar, in der eine echogene schnurartige Struktur (Netz) flottiert. In der zweiten Hälfte eine Untersuchung im Haubenbereich: die Haube ist abgehoben und man kann die flottierende Milz erkennen.

Kolik

Ursachen:

Man unterscheidet in unserer Klinik folgende Kolikgrade:

Letzte Änderung: 21.02.2021


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