Enzootische Bronchopneumonie der Rinder (EBP)
"Kälbergrippe", "Rindergrippe"
 
W. Klee  
 
 
Das Wichtigste in Kürze

Faktorenkrankheit. Belebte Faktoren: Mehr als 20 Virusarten können mit der EBP assoziiert werden, meist jedoch milder Verlauf. Wichtigste bakterielle Erreger: Mannheimia (früher Pasteurella) haemolytica und Pasteurella multocida. Beteiligung von Histophilus somni, Trueperella (früher Arcanobacterium) pyogenes, aber auch von Mykoplasmen und Chlamydien möglich. Unbelebte Faktoren: Überbelegung der Ställe, Defizite und/oder Fehler in der Belüftung. Folgen sind Anstieg der Luftfeuchtigkeit und damit des Keimdrucks sowie Anreicherung von Schadgasen. Zwei epidemiologische Muster: saisonale und "crowding assoziierte" Form. Verlauf der EBP: "akutes" Stadium mit Fieber und Erhöhung der Atemfrequenz; dann "subakutes" Stadium mit anhaltendem Fieber, Nasenausfluss, Husten, Röhrenatmen; später "chronisches" Stadium mit Kümmern und vielfältigen Atemnebengeräuschen; periodische akute Schübe mit Entwicklung einer schweren exsudativen bakteriellen Pneumonie sind möglich. Therapieerfolg abhängig vom Stadium der Erkrankung. Rechtzeitige Applikation von Antiinfektiva in adäquater Dosierung. Unterstützende Behandlung mit NSAID.


 

Prüfungsstoff
 
 
Ätiologie Verlauf
Epidemiologie Therapie
Pathogenese Prophylaxe

 

Diese Krankheit, sofern man von Krankheitseinheit sprechen kann, ist mit Abstand die wirtschaftlich bedeutendste Atemwegserkrankung der Mastrinder. EBP (Abkürzung ist nicht allgemein üblich) ist eine sogenannte Faktorenkrankheit. Das bedeutet unter anderem, dass es unmöglich ist, die Krankheit durch eine einzelne Maßnahme sicher zu verhindern..
 

Ätiologie:
Hier sind belebte und unbelebte Faktoren zu berücksichtigen.

Zunächst zu den belebten Faktoren: Mehr als 20 Virusarten werden mit der EBP in Zusammenhang gebracht, und viele sind in experimentellen Situationen in der Lage, Pneumonie auszulösen. Meist nehmen diese Virus-Pneumonien klinisch jedoch einen ausgesprochen milden Verlauf und sind vor allem durch Serokonversion nachweisbar. Mit klinisch manifester Krankheit sind dagegen meist nur besonders virulente Stämme von BPI3V (Bovines Parainfluenza3-Virus), BRSV (Bovines respiratorisches Syncytialvirus), und BHV1 (Bovines Herpesvirus1), BVDV (Bovines Virusdiarrhoevirus), RBCV (Respiratorisches Bovines Coronavirus) assoziiert. BPI3V, BHV1 und BRSV haben möglicherweise unterschiedliche Angriffspunkte im Atmungstrakt(1).
Manche dieser Virusarten infizieren die Alveolar-Makrophagen. Die Beeinträchtigung der Funktion dieser Zellen kann ein wesentlicher prädisponierender Faktor für die Entwicklung einer sekundären bakteriellen Pneumonie sein. Außerdem verursachen sie eine Art Kahlschlag im Flimmerepithel der Bronchien und der Trachea, was die sogenannte mukoziliäre Clearance, einen anderen wichtigen Teil der unspezifischen Abwehr, beeinträchtigt.

Mykoplasmen (M. bovis, M. canis) und Chlamydien wird ebenfalls eine Rolle in der Ätiologie der EBP zugesprochen. Manche Stämme von Mykoplasmen können schwere fibrinöse Pleuropneumonie ähnlich wie bei Lungenseuche) verursachen. Oft tritt dabei auch Polyarthritis auf.

Nach gegenwärtiger Lesart kommt jedoch den Bakterien, insbesondere Mannheimia haemolytica und Pasteurella multocida, hinsichtlich der Schwere des Verlaufes der EBP die entscheidende Bedeutung zu. Ihr Leukotoxin kann Leukozyten irreversibel schädigen. Weitere Keime: Histophilus somni, Trueperella pyogenes, (Bibersteinia trehalosi, eng verwandt mit M. haemolytica, mit dem gleichen Pathogenitätsfaktor Leukotoxin, wächst rascher als M. haemolytica und hemmt dessen Wachstum, kann daher in subakuten Fällen isoliert werden, obwohl M. haemolytica der primäreErreger war.).

Einige Befunde sprechen dafür, dass die EBP zwar enzootisch verläuft ("Ausbruch"), dass diesem Verlauf aber nicht die Ansteckung von Tier zu Tier mit Pasteurellen zugrunde liegt. Es können aus verschiedenen Tieren innerhalb einer an EBP erkrankten Gruppe nicht selten mehrere Pasteurellen-Stämme mit unterschiedlichen Resistenzmustern isoliert werden, mitunter sogar aus einem erkrankten Tier. Epidemiologische Auswertungen haben gezeigt, dass das Risiko für EBP-Erkrankungen in Boxen mit bereits erkrankten Tieren nicht größer war als in Boxen ohne vorausgegangene Krankheitsfälle.

Zu den unbelebten Faktoren, deren Einfluss jedoch nicht klar von der Wirkung der belebten abgegrenzt werden kann:

  • Überbelegung der Ställe (Luftraumbedarf ca. 6 m3 pro Kalb bis 6 Wo, 10 m3 bis 12 Wo, 15 m3 bis 16 Wo)
  • Defizite in der Belüftung (< 34 m3/h/Kalb)
  • Fehler in der Belüftung (z.B. Zuluft über Güllekanal)

  • Diese Faktoren bedingen weitere:

  • Steigerung der Luftfeuchtigkeit
  • Anreicherung von Keimen (durch Steigerung der Lebensdauer)
  • Anreicherung von Schadgasen, insbesondere NH3

  • Weiterhin:

  • starke Temperaturschwankungen
  • zu starke Luftbewegung in der Höhe der Tiere (im Winter nicht über 25 cm/sec)
  • große Anzahl von Lieferbetrieben

  • Epidemiologie:
    EBP hat im wesentlichen zwei epidemiologische Muster:
    - "crowding"-assoziierte Form
    - saisonale Form (im Herbst und Winter).
    In Bullenmastbetrieben wird ein erheblicher Teil der Kälber (nach eigenen Erhebungen im Durchschnitt etwa 40 %) wegen respiratorischer Erkrankung behandelt.
     

    Pathogenese:
    Es handelt sich in aller Regel um eine Infektion über den Atmungstrakt. Beteiligung des Atmungsapparates im Rahmen einer akuten Sepsis ist möglich, meist aber in Form einer ausgeprägten fibrinösen Polyserositis.
    Im Zentrum des Geschehens steht die Schwächung der unspezifischen Abwehr, zum Beispiel Schädigung des Flimmerepithels und/oder der alveolären Makrophagen durch "wegbereitende" Virusinfektionen oder durch ungünstige klimatische Einflüsse oder durch "Distress" (Transport, Futterentzug, Futterumstellung, soziale Umstellung).
    Abgesehen von der allgemein immunsupprimierenden Wirkung von Distress gibt es hinsichtlich Transport noch einen speziellen Aspekt: Auf längeren Transporten können Kälber nachweislich erhebliche Mengen an Körperwasser verlieren. Diese Dehydratation kann die Qualität der Bronchialschleims in der Weise verändern, dass die mukoziliäre Clearance gestört wird.
    Der Distress durch Transport und Crowding kann so überwältigend sein, dass die Krankheit auch unter scheinbar idealen Klimabedingungen (wie in feedlots) ausbrechen kann.
    Der Atmungsapparat eines in seiner lokalen und systemischen Abwehr stark beeinträchtigten Rindes wird keine unbesetzte "mikroökologische Nische" bleiben, denn es wird immer Keime geben, welche die Chance, sich dort festzusetzen und zu vermehren, wahrnehmen werden.
     

    Verlauf:
    "Akutes" Stadium: Fieber, erhöhte Atemfrequenz; Spontanheilung möglich, meist gutes Ansprechen auf Behandlung.

    "Subakutes" Stadium: Fieber, Nasenausfluß, Husten, Inappetenz, Röhrenatmen; Spontanheilung fraglich, meist Ansprechen auf intensive sachgemäße Behandlung.

    "Chronisches" Stadium: Kümmern, Atemnebengeräusche ("music box", Röhrenatmen). Kälber mit chronischer Bronchopneumonie können periodisch akute Schüben zeigen, die meist mit der Entwicklung einer schweren exsudativen bakteriellen Pneumonie verbunden sind; Heilung kaum möglich. Solche Schübe werden öfter als akute Neuerkrankung interpretiert und der Misserfolg der Behandlung als Hinweis auf die generelle Unwirksamkeit der eingesetzten Antiinfektiva gewertet.

       Zwei gleich alte Kälber in einem Mastbetrieb. Das rechte Tier kümmert wegen chronischer Pneumonie.
     

    Wesentlichster Faktor, der über den Verlauf entscheidet, ist der Mensch, der die Tiere betreut. Bei frühzeitiger Erkennung und sachgerechter Behandlung heilen die Lungenveränderungen meist völlig ab, und die Mastleistung ist nicht beeinträchtigt, während Rinder, die zu spät als erkrankt erkannt und behandelt werden, bleibende Schäden an der Lunge mit entsprechender Minderung der Mastleistung erleiden können.
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    Letalität:
    Bei unbehandelten Tieren nach Literaturangaben: 13 von 37, das entspricht einer Letalität von 35 % (95% KI: 20-53%). Üblicherweise liegt sie bei rechtzeitig und sachgemäß behandelten Rindern bei 1 bis 5 % (maximal 10 %).
     

    Therapie:
    Auch wenn es vom Prinzip her unbefriedigend ist, ist die Anwendung von Antiinfektiva das Kernstück der Behandlungund wird es vermutlich auch bleiben, solange Rinder den unter "Pathogenese" beschriebenen Bedingungen unterworfen werden. Behandlungsschema: zwei Tage bei ausreichender Dosierung. Bei erkennbarer Besserung (Temperatur und Atemfrequenz sinken, Fresslust steigt) noch zwei weitere Tage mit dem gleichen Mittel, sonst Wechsel des Mittels und entsprechend weiter verfahren. Bei Anwendung von langwirkenden Antiinfektiva ist diese Angabe naturgemäß hinfällig.
    Die üblichen Gründe für Therapieversager bei bakteriell bedingter Bronchopneumonie sind u.a.

    Manche Tierärzte und Besitzer lassen sich von der vorübergehenden scheinbaren Besserung nach Applikation von Glukokortikoiden täuschen. Ein Vorbericht, der früher nach Einsatz eines Mischpräparates aus Antibiotika und und einem Glukokortikoid häufig zu hören war, lautete: es hilft nur noch Präparat XY, aber auch nur zwei Tage. Was zwei Tage lang "half", war das Glukokortikoid, danach zeigte das Tier wieder seinen wahren, inzwischen verschlechterten Zustand.

    Bei Ausbrüchen von EBP in größeren Betrieben stellt sich irgendwann die Frage, ob es sinnvoll ist, weiterhin nur erkrankte Einzeltiere zu behandeln, ober ob man besser die gesamte Gruppe behandelt, also eine "Massenbehandlung" durchführt. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, u.a.: Aufwand, Kosten, Erfolgsaussichten, Beruhigung des Besitzers. Manche Autoren empfehlen Massenbehandlung ab 10 % Behandlungen pro Tag (oder 25 % in fünf Tagen), andere ab 30 % pro Tag. Derartige Situationen sind für Betriebsleiter psychisch sehr belastend, und manche von ihnen erliegen leicht der Versuchung, alle guten therapeutischen Vorsätze über Bord zu werfen und alles Mögliche und Unmögliche zu probieren. Das Ergebnis ist meist so, dass der Ausbruch irgendwann abklingt, und kein Mensch weiß, warum.

    Unterstützende Behandlung:
    NSAID. Ihre Wirksamkeit und damit Indikation ist jedoch nicht unumstritten. Glukokortikoide sind indiziert bei Hinweis auf BRSV-Infektion (s. dort).
    Expektorantien (z.B. Bromhexin)

     

    Prophylaxe:
    Impfungen
    Vorbemerkung: Wenn die unter "Pathogenese" beschriebenen Vorstellungen zutreffend sind, dürfte es sehr schwierig sein, EBP durch Impfung zu verhindern. Nach Untersuchungen in den USA, in welchen Jungrinder vor dem Transport zu Feedlots gegen Pasteurellen geimpft wurden, ließen sich aus den Impflingen nach Ankunft in den Feedlots zwar seltener Pasteurellen isolieren; auf das Krankheitsgeschehen hatte die Impfung jedoch keinen Einfluss.

    Parenterale Impfungen sehr junger Kälber sind problematisch, weil maternale AK die Immunantwort abschwächen oder gar verhindern können. Als Alternative bietet sich die intranasale Impfung an, die zur Bildung von lokaler und systemischer Immunität stimuliert.
    In letzter Zeit tauchen vermehrt Berichte über den erfolgreichen Einsatz sogenannter stallspezifischer Pasteurellen-Vakzinen auf. Zu ihrer Herstellung müssen Nasentupfer an ein entsprechendes Institut eingesandt werden.
    Die Wirtschaftlichkeit von prophylaktischen Impfungen gegen EBP wird von manchen in Frage gestellt.
    Über erfolgreiche Notimpfungen wird immer wieder berichtet. Darunter versteht man den Einsatz einer homologen Lebendvakzine, also beispielsweise einer BRSV-Vakzine in einem Bestand, in dem bei einem Ausbruch BRSV nachgewiesen wurde. Die Beurteilung dieser Praxisberichte ist schwierig, da so gut wie nie Kontrollgruppen existieren. Immunologisch vorstellbar soll eine Wirkung jedoch sein.

    Antibakterielle Prophylaxe
    Nach verschiedenen Untersuchungen kann der prophylaktische Einsatz von Antibiotika, sei es über Medizinalfutter oder über parenterale oder kombinierte parenterale und orale Applikation, die Morbidität bei Mastrindern senken. Seit der Einführung von langwirkenden Antiinfektiva hat die Anwendung dieser Präparate frühere Behandlungsschemata in dieser Indikation weitgehend verdrängt.

    Es sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:
    1. Die rein prophylaktische Anwendung von Antiinfektiva wird in den "Antibiotika-Leitlinien" (siehe unten) abgelehnt. Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Prophylaxe, so genannter "Metaphylaxe" und Therapie unter den Bedingungen eines Mastbetriebs nur theoretisch klar, in der Praxis aber so gut wie unmöglich.
    2. Im Prinzip würde die Anwendung eines lang wirkenden Antiinfektivums bei Einstallung der Forderung nach frühzeitiger Behandlung in fast idealer Weise nachkommen, wenn dabei ausreichend hohe Blutspiegel über ausreichend lange Zeit, zumindest über die kritischste Phase, erreicht werden.
     3. Tierbesitzer, die ihre Tiere gut überwachen, brauchen diese Maßnahme wahrscheinlich nicht, weil sie kranke Tiere früh genug erfassen (zum Beispiel über Temperaturmessung in den ersten 4 Wochen) und entsprechend behandeln können, und bei Tierbesitzern, die das nicht können oder wollen, besteht die Gefahr, dass eine solche Maßnahme ein falsches Gefühl der Sicherheit aufkommen lässt, und sie die Tiere noch nachlässiger kontrollieren.
     4. Man sollte sich eine solche Maßnahme offenhalten, wenn eine frisch eingestallte Gruppe von Kälbern offensichtlich besonders stark gestresst ist. Dann sollte aber therapeutische Dosierung gewählt werden.
    5. Auf die "Antibiotika-Leitlinien" (http://www.bundestieraerztekammer.de/downloads/btk/antibiotika/Antibiotika-Leitlinien.pdf) wird hingewiesen.

    Interferon-Inducer
    Hinsichtlich der prophylaktischen, "metaphylaktischen" und therapeutischen Wirksamkeit von Interferon-Inducern liegen widersprüchliche Ergebnisse vor.

    Sonstige Prophylaxe
    Bei der Besprechung der Ätiologie wurde betont, dass Belastungen der Tiere bei der Entstehung der Krankheit eine wichtige Rolle spielen. Daraus ergibt sich die Forderung, diese Belastungen so gering wie möglich zu halten. Entwöhnung, Enthornung und Umstallen sollten zeitlich möglichst nicht eng beieinander liegen. Enthornung sollte vor der Entwöhnung stattfinden.
     

    PubMed
     
     

    Weiterführende Informationen
     

    Literatur

    1 Kirchhoff et al. Three viruses of the bovine respiratory disease complex apply different strategies to initiate infection. Vet. Res. 2014 45:20.

     



    Letzte Änderung: 03.10.2016

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