Bovine Neonatale Panzytopenie (BNP)
Blutungssyndrom junger Kälber
 
A. Friedrich  
 
 
Das Wichtigste in Kürze

Mit BNP wird eine Erkrankung bezeichnet, die bei bis zu vier Wochen alten Kälbern auftritt und klinisch durch Blutungsneigung gekennzeichnet ist und seit 2007 gehäuft auftritt. Dies wurde zuerst in Bayern, im Folgenden auch in anderen Bundesländern und später auch in verschiedenen europäischen Ländern beobachtet. Im Blut betroffener Kälber sind die Konzentrationen aller zellulären Bestandteile, vor allem aber die der Thrombozyten und Leukozyten, (meist stark) erniedrigt (Panzytopenie), weil das Knochenmark massiv geschädigt ist. Schon früh ergab sich der epidemiologische Hinweis, dass ein BVD-Impfstoff (PregSure® BVD, Firma Pfizer) ein Faktor in der Ätiologie sein könnte. Die Zulassung dieses Impfstoffes ruht seit Juli 2010. Die genauen ätiologischen Zusammenhänge werden gegenwärtig noch erforscht.


 

Prüfungsstoff
 
 
Ätiologie/Pathogenese Differentialdiagnosen
Symptomatik Therapie
Epidemiologie Prophylaxe
Diagnostik  

 

Ätiologie/Pathogenese:
Die genauen ätiologischen Zusammenhänge werden gegenwärtig noch erforscht. Die bekannten Ursachen für Knochenmarkschädigungen bei Kälbern wurden weitgehend ausgeschlossen.

Folgendes ist inzwischen zur Ätiologie / Pathogenese bekannt:
Die schon bald nach beobachteter Häufung der Erkrankung auf Grund von Erfahrungen von Landwirten vermutete pathogenetische Rolle des Kolostrums ist mittlerweile gesichert. Mit einer einzigen Mahlzeit von Kolostrum von „Blutermüttern“ ließ sich die Krankheit bei einigen Kälbern experimentell auslösen. So genannte „Tränkeversuche“ wurden mit unterschiedlichen Versuchsansätzen von verschiedenen Forschergruppen durchgeführt.
Alle bisherigen Ergebnisse  deuten auf einen antikörpervermittelten immunpathologischen Prozess hin. Verschiedene Wissenschaftler konnten  nachweisen, dass Blutermütter einen signifikant höheren (gegen Leukozyten gerichteten) Alloantikörpertiter hatten als Kontrollkühe. Bei Untersuchungen im Paul-Ehrlich-Institut wurde auch eine Kreuzreaktion dieser Alloantikörper mit Rindernierenzellen, die für die Zellkultur im Rahmen der Impfstoffherstellung von PregSure® verwendet wurden, nachgewiesen. (Dieses Institut ist im Rahmen der Pharmakovigilanz zuständig.) Somit ergeben sich deutliche Hinweise, dass die Häufung der BNP-Fälle in Zusammenhang mit dem Einsatz der Vakkzine PregSure® steht.
Angesichts der Tatsache, dass (bisher) nur ein geringer Pro­zentsatz der geborenen Kälber betroffen ist und auch (im Tränkeversuch) mit derselben „Kolostrumcharge“ nicht alle Kälber erkranken, ist die Existenz prädisponierender (genetischer?) Faktoren zu vermuten.

Symptomatik:
Regelmäßige Befunde bei den Kälbern sind Petechien an den sichtbaren Schleimhäuten (vor allem Maulschleimhaut) und Blutbeimengungen im Kot.
Weiterhin zeigen viele dieser Kälber auch Hautblutungen, weswegen sie auch als „Blutschwitzer“ bezeichnet werden. Die meisten Patienten mit Hautblutungen werden in den „warmen“ Monaten des Jahres beobachtet, was die Vermutung, dass die Blutungsneigung durch Insektenstiche offenbar wird, bekräftigt. Es fällt auf, dass insgesamt deutlich mehr Patienten mit BNP in den Sommermonaten registriert werden; möglicherweise ist die Symptomatik mit Hautblutungen in dieser Jahreszeit auffälliger und BNP-Kälber werden in den Wintermonaten (ohne die spektakulären Hautblutungen) oftmals nicht als solche erkannt. Fieber galt zu Beginn der Untersuchungen als sehr sensitives Symptom für das Krankheitsbild. Inzwischen nimmt man an, dass Sekundärinfektionen, die bei diesen Patienten sehr häufig vorkommen, dafür verantwortlich sind.
Die Geschlechterverteilung ist annähernd gleich; es sind verschiedene Rassen und Kreuzungen betroffen.

Bilder: Kalb mit Blutkrusten im Fell, Kalb mit frischer Hautblutung (Fell stellenweise geschoren), Maulschleimhaut mit Petechien, aus dem After ausgetretenes Blut

Hautblutungen    Blutungen

Schleimhaut mit Petechien    blutiger Kot

Epidemiologie:
Die Krankheit ist nach anscheinend erstem Auftreten in Deutschland aus einer Reihe von europäischen Ländern gemeldet worden, nicht jedoch aus Dänemark, Österreich und der Schweiz. In diesen Ländern wird nicht gegen BVD geimpft. In den meisten Betrieben sind nur wenige Kälber betroffen; allerdings gibt es spektakuläre Ausnahmen mit bis über 70 Fällen. Manche Kühe haben in mehreren (bis zu vier) Jahren Kälber geboren, die an BNP erkrankten. Die schon früh erkannte epidemiologische Auffälligkeit, dass in fast allen gesicherten Fällen die Mütter mit einer bestimmten BVD-Vakzine (PregSure-BVD®) geimpft waren, oder die Kälber Kolostrum von derart geimpften Kühen erhalten hatten, blieb auch im weiteren Verlauf bestehen. Nach einem von der Firma Pfizer beschlossenen Verkaufsstop in Deutschland im April 2010 und in ganz Europa im Juni 2010, hat die europäische Arzneimittelagentur im Juli 2010 ein Ruhen der Zulassung der Vakzine PregSure® in Europa angeordnet.

Diagnostik:
Zur Bestätigung eines Kalbes mit Blutungsneigung als BNP-Fall muss mindestens ein Blutbild angefertigt werden. Die Zuordnung zu diesem Krankheitsbild erfolgt nur, wenn Thrombozyten UND Leukozyten erniedrigt sind. Bei Kälbern, die nur Blutbildveränderungen (ohne klinische Symptomatik) aufweisen, handelt es sich um subklinische Fälle.
Als Goldstandard der Diagnostik gilt jedoch die histologische Untersuchung des Knochenmarks. Bei BNP-Kälber ist Letzteres „leer“ oder sehr zellarm (=Panmyelophthise).

Differentialdiagnosen:
Neben diesen BNP-Fällen treten auch Fälle von Kälbern (Jungrindern und auch erwachsenen Kühen) mit hämorrhagischer Diathese auf, die jeweils nicht die Kriterien für BNP erfüllten. Bei einzelnen dieser Tiere kann BVD-Virus nachgewiesen werden, was als Auslöser des hämorrhagischen Syndroms angesehen wird. Bei anderen Patienten wird ein septikämischer Verlauf einer anderen Erkrankung für die Blutungsneigung verantwortlich gemacht. Daneben gibt es noch einige Patienten, die keiner der angesprochenen Ursachen zuzuordnen sind und nicht die Kriterien für BNP erfüllen. Diese Tiere zeigten Blutungsneigung unterschiedlicher Intensität und Lokalisation, haben aber keine wesentliche Störung des Allgemeinbefindens, ein unauffälliges Blutbild und normale Gerinnungszeiten. Die Heilungsrate dieser Patienten ist deutlich höher als bei BNP-Kälbern. Derzeit wird an der Klinik für Wiederkäuer auch an der Aufklärung dieser Art der Blutungsneigung gearbeitet.

Therapie:
Die Therapie dieser Kälber beinhaltet Bluttransfusion(en) nach entsprechendem Blutverlust und symptomatische Behandlung der (zum Teil schwerwiegenden) Sekundärerkrankungen. Die Behandlungserfolge sind allerdings sehr dürftig, da die Kälber schon zu Beginn der klinischen Symptomatik ein geschädigtes Knochenmark haben. Bluttransfusionen sind nur lebensrettend, wenn noch genügend intaktes Knochenmark vorhanden ist, damit später wieder Blutzellen nachgebildet werden können. Somit ist die Überlebensrate von Kälbern mit Bluttransfusion(en) ähnlich schlecht wie die bei Kälbern ohne Bluttransfusion.

Prophylaxe:
Biestmilch von Kühen, die bereits ein Kalb hatten, das an BNP erkrankt ist, nachdem es Biestmilch der Mutter aufgenommen hatte, sollte nicht für die Versorgung neugeborener Kälber verwendet werden. Bei Vertränkung von Biestmilch einer Kuh aus dem gleichen Bestand (die auch mit PregSure® BVD geimpft worden war), aber noch keine BNP-Kalb hatte, senkt zwar das Risiko, aber schließt nicht aus, dass durch deren Biestmilch BNP ausgelöst werden kann. Wenn schon Nachzucht vorhanden ist, die nicht mehr mit PregSure® BVD wurde, sollte deren Biestmilch für die neugeborenen Kälber verwendet werden. In Betrieben mit hoher Inzidenz (und noch nicht ausreichender Anzahl „PregSure® BVD-ungeimpfter“ Nachzucht) sollte die Biestmilchversorgung von nicht mit PregSure-BVD® geimpften Betrieben in Erwägung gezogen werden. Allerdings ist dabei zu bedenken, dass sich dabei das Risiko von Auftreten von Neugeborenenproblemen erhöht (Kolostrum ist in diesem Fall nicht stallspezifisch!!!) und auch Einschleppung anderer Krankheiten möglich ist.
 

PubMed
 
 

Weiterführende Informationen
 



Letzte Änderung: 29.07.2011


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