Phosphorsäureestervergiftung
 
A. Lorch 
 

Das Wichtigste in Kürze

Vergiftung mit systemisch wirkenden organischen Phosoporsäureestern nach oraler Aufnahme, perkutaner Resorption oder Inhalation. Vorwiegend perakuter bis akuter Verlauf mit muskarinoiden und nikotinoiden Erscheinungen durch Hemmung der Cholinesterase. Therapeutisches Mittel der Wahl ist Atropin

 

Prüfungsstoff
 
 
Ätiologie Diagnostik
Epidemiologie Differentialdiagnosen
Pathogenese Therapie
Klinische Erscheinungen Prophylaxe

Ätiologie:
Aufnahme von Phosphorsäureestern durch Tiere nach unsachgemäßem Gebrauch von Insektiziden durch Menschen.
 

Epidemiologie:
Organophosphate werden u.a. als Insektizide, Akarizide, Anthelmintika, Rodentizide, Nematodizide, Fungizide und Herbizide verwendet. Zu Intoxikationen kommt es v.a. bei unsachgemäßer Handhabung der Präparate: z.B. ablecken behandelter Stallwände, direktes Besprühen der Tiere mit Präparaten zur Umgebungsbehandlung, Aufnahme von Futter behandelter Grünflächen, orale Aufnahme von "Fliegenbändern" oder Lösungen zur Ektoparasitenbehandlung, verunreinigte Futter- oder Tränkeeimer usw. Jungtiere sind wesentlich empfindlicher als erwachsene Rinder.
 

Pathogenese:
Nach kutaner oder intestinaler Resorption kommt es zur Hemmung der Cholinesterase und anderer Enzyme. Acetylcholin wird an motorischen präganglionären und an parasympathischen postganglionären Endplatten nicht mehr rasch genug abgebaut (endogene Acetylcholinvergiftung) mit der Folge einer Übererregung des Parasympathikus (muskarin- und nikotinartige Symptome).
 

Klinische Erscheinungen:
Die akuten Erkrankungen setzen bei Intoxikation mit wasserlöslichen Phosphorsäureestern meist rascher (binnen 1-2 h) ein als nach Aufnahme fettlöslicher Phosohorsäureester (8-12 h). Schwer vergiftete Tiere werden unvermutet tot aufgefunden. Muskarinoide Symptome: Miosis, vermehrte Drüsensekretion und Peristaltik (Speicheln, Durchfall, Kolik, Aufblähen), frequenter Harnabsatz, Bradykardie, Dyspnoe (Bronchospasmus, Lungenödem, -emphysem, Zyanose, vorstehende Zunge, Stöhnen). Nikotinoide Symptome: Muskelzittern, -zucken, Paresen der Gliedmaßen, Muskelsteife, Festliegen. Störungen der Erregungsausbreitung im ZNS: Unruhe, Verwirrtheit, Ataxien, Tremor, tonisch-klonische Krämpfe. Erstickungsgefahr infolge Lähmung von Atemzentrum u./o. –muskulatur.

Diagnostik:
Bei ausgeprägtem klinischen Bild und gesichertem Giftkontakt leicht zu stellen. Gezieltes Fragen bei der Erhebung des Vorberichtes, Umgebungskontrolle.

Probenmaterial von frisch erkrankten, noch nicht behandelten Tieren:
        (tief-)gekühltes Blut oder Hirngewebe: chem. Nachweis der Azetylcholinesterase-Hemmung
        eingefrorener Vormageninhalt: Nachweis von organ. Phosphorsäureestern mittels Dünnschichtchromatographie
        Insekten sterben nach Verbringen in ein mit Vormageninhalt gefülltes, verschlossenes Gefäß

Differentialdiagnosen:
        Vergiftung durch chlorierte Kohlenwasserstoffe
        Bleivergiftung
        Botulismus
        hypomagnesämische Tetanie
        Weideemphysem
        ZNS-Symptomatik durch sich im Wirbelkanal befindende, absterbende Dassellarven, bei falschem Behandlungszeitpunkt 

Therapie:
        Mittel der Wahl: Atropin (Antagonist des Azetylcholins, hebt Muskarinwirkung auf): Dosierung nach Wirkung: ca. 0,2-0,6 mg Atropinsulfat/kg LM, 1/3 i.v., 2/3 i.m. oder s.c.; Wirkungskontrolle: steigende Herzfrequenz, Pupillenerweiterung, Sistieren des Speichelns; evtl. Wiederholung mit halber Atropindosis. Statt Atropin kann auch Butylskopolamin (0,2 mg/kg) verabreicht werden.
        Giftbeseitigung: Entfernen von auf die Haut aufgebrachtem Insektizid/Akarizid durch gründliches Waschen mit Seifenwasser, 1 %iger Sodalösung oder spülmittelhaltigem Wasser (Handschuhe!); bei oraler Intoxikation: Aktivkohle (Bindung des nicht resorbierten Giftes), evtl. Spülen der Vormägen oder Ruminotomie
        Reaktivierung der Cholinesterase: Obidoxim (5-10-mg/kg LM) oder Pralidoxim (20-50 mg/kg LM); niemals vor Atropingabe, nur innerhalb der ersten 24 h der Vergiftung
        (evtl. Ruhigstellung mit Diazepam (0,5-1,5 mg/kg LM); für Rinder nicht mehr zugelassen)
        begleitende Therapie: Glukokortikoide oder nicht steroidale Antiphlogistika, Antibiotika (Lungenemphysem), Vitamine (B-Komplex, E), Selen

Prophylaxe:
Achtsamer Umgang mit Insektiziden laut Gebrauchsanweisung, Wartezeiten beachten (Milch behandelter Kühe nicht an Kälber vertränken), sichere Lagerung der Gifte, ordnungsgemäße Entsorgung von Resten

Sonstiges:
Rückstände: Organophosphate werden rasch metabolisiert und nur kurzfristig über die Milch ausgeschieden. Die Milch muß für ca. 5-7 Tage beseitigt werden. Festgesetzte Höchstmenge in der EU für Milch und Fleisch: 20 ug/kg, im Fett 700 ug/kg.

PubMed
 
 
 



Letzte Änderung: 28.12.2004


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